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Clara gab nicht nach. Sie blieb entschieden dabei, die Rekapitulation sei ein magischer Akt, bei dem der Wille und der Atem eine entscheidende Rolle spielten. "Das Atmen sammelt Energie und läßt sie zirkulieren", erklärte sie. "Dann wird sie vom vorgegebenen Willen der Rekapitulation gelenkt, nämlich uns aus unserer biologischen und sozialen Gebundenheit zu befreien.

Der in der Rekapitulation liegende Wille ist ein Geschenk der alten Seher an uns, die diese Methode entwickelt und an ihre Nachfolger weitergegeben haben. Wer die Rekapitulation macht, muß zusätzlich seinen eigenen Willen einbringen, aber der ist nicht mehr als der Wunsch oder das Bedürfnis, die Rekapitulation zu machen. Der Wille zu dem, was sie am Ende bewirken soll, vollkommene Freiheit, wurde von diesen Sehern der fernen Vergangenheit geschaffen. Und da er unabhängig von uns entstand, ist er ein unschätzbar wertvolles Geschenk".

"Die Rekapitulation", erläuterte Clara weiter, "macht uns einen ganz entscheidenden Zug unserer selbst offenbar: daß wir vor jeder Handlung einen winzigen Augenblick lang wissen, wohin sie führen wird und wie es um unsere Chancen, Motive und Erwartungen bestellt ist. Dieses Wissen ist immer unbequem und unbefriedigend, weshalb wir es augenblicklich unterdrücken".

"Wie meinen Sie das, Clara?"

"Ich meine das so, daß Sie beispielsweise für einen Sekundenbruchteil wußten, was für ein tödlicher Fehler es sein würde, auf die Kampfbahn zu springen und die ganze Vorführung zu verderben, aber diese unmittelbare Gewißheit haben Sie aus verschiedenen Gründen sofort unterdrückt. Sie wußten ebenfalls für einen Augenblick, daß Sie mit dem Karate nur deshalb aufhörten, weil Sie beleidigt waren, als Lob und Anerkennung ausblieben. Sie haben dieses Wissen gleich unter einer Erklärung verschwinden lassen, die Sie selbst in einem besseren Licht erscheinen ließ: daß Sie die Heuchelei anderer satt hatten."

"Dieser Augenblick des unmittelbaren Wissens", sagte sie, "wurde von den Menschen, denen wir die Rekapitulation verdanken, "der Seher" genannt, weil wir hier mit ungetrübtem Blick unmittelbare Einsicht in die Dinge gewinnen. Doch so klar und richtig die Einschätzungen des Sehers auch sein mögen, wir achten nicht auf ihn und geben ihm keine Chance, uns zu erreichen. Und da wir ihn ständig unterdrücken, unterbinden wir sein Wachstum und verhindern, daß er seine Möglichkeiten voll entwickelt".

"Am Ende ist der Seher in uns voller Bitterkeit und Haß", fuhr Clara fort. "Die alten Weisen, die Erfinder der Rekapitulation, glaubten, daß der Seher uns schließlich vernichtet, weil wir einfach nicht aufhören, ihn zu knebeln. Aber sie sagen uns auch, daß wir den Seher durch die Rekapitulation wachsen lassen können, damit er zu dem wird, was er eigentlich sein soll."

"Mir war noch nie so recht klar, was es mit der Rekapitulation auf sich hat", sagte ich.

"Der Zweck der Rekapitulation besteht darin, dem Seher die Freiheit zu sehen zurückzugeben. Wir lassen ihn tun, was er zu tun hat, und damit können wir ihn ganz gezielt zu einer ebenso geheimnisvollen wie wirkungsvollen Kraft machen, die uns schließlich zur Freiheit führt, anstatt uns in den Untergang zu treiben.

Deshalb sage ich Ihnen immer, Sie sollen mir erzählen, was Sie beim Rekapitulieren herausfinden. Sie müssen den Seher an die Oberfläche bringen, Sie müssen ihn sprechen lassen, damit er sagen kann, was er sieht."

Es fiel mir nicht schwer, sie zu verstehen und ihr zuzustimmen. Ich wußte sehr wohl, daß da etwas in mir ist, was immer genau Bescheid weiß. Ich wußte auch, daß ich diesen Ratgeber unterdrückte, weil die Dinge, die er mir sagte, meist nicht das waren, was ich erwartete oder hören wollte.

Taisha Abelar, Die Zauberin, S. 118,119
Theater der Absicht
Die Absicht anpirschen